Textilfabrik Johann Tost

   
Der in Iglau geborene Johann Tost (1755–1831) arbeitete mit Joseph Haydn (1732–1809) zusammen und spielte zwischen 1783 und 1787 die zweite Geige in Haydns Hofkapelle bei der Familie Eszterházy in Eisenstadt. Haydn hat ihn als einen fähigen Geschäftsmann 1789 gebeten, für die Streichquartette Op. 54 und 55 und auch die Symphonie Nr. 88 und 89 einen Verleger zu finden. Tost fand einen Verleger in Paris und der Verkauf der Manuskripte war erfolgreich. Als Zeichen seiner Dankbarkeit widmete Haydn Tost die sechs Streichquartette Op. 64, die 1790 komponiert wurden. Nach der Heirat mit einer wohlhabenden Wiener Witwe beendete Tost seine Karriere als Geiger und gründete mit seiner Frau eine erfolgreiche Wiener Textilfirma.

Im Jahr 1800 beantragte er beim österreichischen Kriegsministerium ein Finanzdarlehen für den Bau einer Fabrik zur Herstellung von Militärtüchern. Für dieses Projekt wählte er einen Ort in seiner Heimatstadt Iglau, im Vorort Špitálské předměstí nördlich der Stadtmauern. Innerhalb von zwei Jahren erhielt Tost eine Fabriklizenz und ließ ein geräumiges Gebäude in der Straße Třebízského errichten, in dem eine Wollspinnerei und eine Textilveredlungsfabrik untergebracht waren. Er baute eine Wäscherei und eine Wollfärberei an, die sich unter der Brünner Brücke befanden. Zur gleichen Zeit wurden Beamtenhäuser und ein Tuchtrocknungshaus gebaut. Als Erbauer ist 1804 Mathias Plott belegt.

Die Fabrik war mit sechsundzwanzig Spinnmaschinen ausgestattet, die von einem Mechaniker aus England zusammengebaut wurden. Und weil Tost auf die Missbilligung der Iglauer Tuchmachermeister stieß, musste er die geplanten vierzig weiteren Webstühle in einem neuen Gebäude in Štoky auf dem Marktplatz unterbringen. Das Projekt von Tost war großzügig und der Eigentümer erwartete eine vorzeitige Rückzahlung des Darlehens und einen regelmäßigen Gewinn. Leider erfolgte 1809 der II. Einmarsch Napoleons in die Habsburger Monarchie (ein Denkmal an der Staatsstraße zwischen Štoky und Antonínův Důl erinnert an dieses Ereignis) und die Weberei in Štoky musste geräumt und in ein Lazarett umgewandelt werden. Die Webstühle standen still und das war der Anfang vom Ende von Tosts Geschäftstätigkeit. Unerfahrenheit, Verschwendung von Mitteln und überzogene Erwartungen führten dazu, dass die Textilfabrik bald in Konkurs ging, der erst 1843 beendet wurde. In der Zwischenzeit begannen die Gebäude zu verfallen und warteten auf einen neuen Besitzer.

Damals besaß die Direktion der Tabakregie des k. k. Finanzministeriums eine Manufaktur für die Tabakverarbeitung im Kloster Louka bei Znojmo. Im Zuge der Schließung des Klosters überlegte die Stadtverwaltung von Iglau, die Manufaktur in die baufälligen Gebäude der ehemaligen Textilfabrik von Tost zu verlegen. Die Genehmigung wurde erteilt und die Tabakmanufaktur zog 1851 nach Iglau um.

Mit der neuen Branche kam auch die Rekultivierung des Fabrikgeländes und es wurden hochwertige Ausbauten vorgenommen, die von der Bautechnischen Abteilung der Generaldirektion der Tabakregieveranlasst wurden. Zunächst wurde entlang der Straße Srázná ein langes Gebäude mit drei Trakten errichtet, in dem später die Zigarrenproduktion aufgenommen wurde. Im Jahr 1888 wurde auf einem schrägen Grundstück an der Ecke der Straßen Třebízského und Úvoz ein Lagergebäude errichtet. Zwischen den Jahren 1891 und 1895 wurden in der Straße Havlíčkova zwei Werkstätten mit drei Trakten eingerichtet, in denen Zigaretten gerollt wurden. Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigte die Tabakfabrik 3.000 Arbeiter, von denen die meisten Frauen waren.

Zu Beginn der 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts erfuhr die Fabrik weitere bauliche Veränderungen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Gelände bereits im Besitz der Tschechoslowakischen Tabakregie. Der Umbau wurde zwischen 1931 und 1934 nach dem Projekt des Prager Architekten Karel Roštík (1884–1969) durchgeführt. Die Bauarbeiten wurden von der Prager Baufirma des Ingenieurs Radim Matolín durchgeführt.

Zunächst wurde im Rahmen des Umbaus ein Lagerhaus vom Standort der heutigen Eissporthalle in das Gelände verlegt. Roštík entwarf ein neues Lagerhaus aus Stahlbeton mit zwei Trakten und sechs Stockwerken. Das Gebäude kopierte die Rundung der Straße Havlíčkova. Der Tabakrohstoff wurde hierher verlagert und das alte Holzlager wurde geschlossen. An der Stelle des Verwaltungsgebäudes wurde ein Bürogebäude mit einem Wohnhaus errichtet. Von der Straße Havlíčkova wurde eine Umfassungsmauer mit einer Haupteinfahrt und zwei Seitentoren errichtet. Es wurde eine Gestaltung des Innenhofs vorgenommen und die abgesplitterten assaden der älteren Gebäude wurden erneuert. Die Fabrik wurde auch technisch modernisiert. Bis 1933 wurde sie mit elektrisch betriebenen Maschinen ausgestattet. Zur Ausstattung der Werkstatt gehörten 128 Verpackungs-, Schneide- und weitere Maschinen. Dennoch war die manuelle Arbeit der Frauen weiterhin notwendig, deren Anteil überwog.

Die Tabakproduktion wurde bis zum 1. April 1958 fortgesetzt, als TeslaJihlava als Zweigwerk 03 des Nationalbetriebs Tesla Lanškroun gegründet wurde und nach und nach das gesamte Industriegelände besetzte. Die Arbeiterinnen begannen mit dem Zusammenbau von Spulenkondensatoren und ab 1964 von anderen elektrischen Bauteilen, verschiedenenVerbindungssteckern und Kontakten, was das handwerkliche Geschick der Frauen erneut erforderte. Die Technologie wurde bald auf das Pressen von Metallen und das Elektroplattieren ausgeweitet.

Nach der Wende 1989 wurde das Iglauer Unternehmen selbständig und begann mit der Produktion von Folientastaturen. Die Nachfolgegesellschaft Automotive Lighting a. s. stellte ihre Produktion auf elektrische Komponenten für die Automobilindustrie um, die sie 2006 in neue Räumlichkeiten in Hruškové Dvory verlegte. Auf die Räumung des Geländes folgte eine umfangreiche Renovierung, die in mehreren Etappen zwischen den Jahren 2010 und 2015 erfolgte. Es entstand ein gelungenes Projekt, dessen Autor der Architekt Ladislav Vlachynský vom Brünner Studio A90 ist. Die ursprüngliche Anordnung, die Konstruktion und das äußere Erscheinungsbild des Geländes sind weitgehend erhalten geblieben. Belassen wurden das massive Außenmauerwerk der Gebäude, die ursprünglichen gusseisernen Säulen der Hallen, die von den erhaltenen Balkendecken getragen werden. Die baulichen Veränderungen respektieren die horizontale und vertikale Gliederung der ursprünglichen Gebäude und die Dachform; Fenster und Eingänge wurden teilweise verändert. Im Dachgeschoss des neu errichteten Altenheims wurde eine ökumenische Kapelle errichtet, die aus einem Leimbilderskelett in Form eines gebrochenen Bogens und Füllungen aus Holzkassetten besteht. Licht fällt durch Oberlichter im oberen Bereich und durch mehrere Öffnungen in der Tür ein, die mit Naturkristallen in einem roten Keramikkreis gefüllt ist. Neben dem Altenheim mit Kapelle umfasst das Gelände auch ein Hotel, Wohnräume mit Garagen, Büros, Arztpraxen, Kindergarten, Restaurant, Geschäftsräume, das Datenzentrum des Wissenschafts- und Technologieparks und andere Dienstleistungen. Das Hotel auf dem Gelände der Iglauer Terrasse wurde mit dem Titel „Bauwerk des Jahres der Region Vysočina 2014“ ausgezeichnet.

MP
Literatur und sonstige Quellen 

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